Verlaufen Durchbruchsinfektionen im Mittel milder?

Update 10.08.2023: Die hier gezeigten Ergebnisse wurden als Teil einer umfassenderen Analyse in der wissenschaftlichen Fachzeitschrift PNAS Nexus veröffentlicht.


Liebe Datenspender:innen,

in einem unserer letzen Blog-Beiträge haben wir gezeigt, wie sich die gespendeten Vitaldaten im Verlauf einer COVID-19-Erkrankung typischerweise verändern. In den Wochen nach einem positiven PCR-Test sehen wir einen erhöhten Ruhepuls, eine starke Verringerung der täglichen Aktivität und eine verlängerte Schlafdauer, die alle als Anzeichen für Krankheit und ein erhöhtes Ruhebedürfnis gedeutet werden können.

Im Zuge der aktiven Beteiligung an der Datenspende und den entsprechenden Umfragen haben mittlerweile 25255 Spender:innen ihren Impfstatus und die Ergebnisse von insgesamt 16489 PCR-Tests übermittelt (von denen 2149 positiv waren). Wir können somit zwischen Infektionen unterscheiden, die vor oder nach einer vollständigen Impfung aufgetreten sind. Für beide Gruppen (geimpft und ungeimpft) untersuchen wir dazu die erwarteten Veränderungen der Vitaldaten im Vergleich zu einem Zeitraum von zwei Monaten vor der Infektion – also den typischen Werten für Schlafdauer, Aktivität und Ruhepuls. Auf diese Weise möchten wir herausfinden, welchen Effekt eine Impfung auf langfristige Auswirkungen von COVID-19 hat.

Noch ein Hinweis, bevor wir mit der Analyse beginnen: Mittlerweile sind fast alle Spender:innen, die ihren Impfstatus angegeben haben, vollständig erstimmunisiert oder geboostert. Wenn wir im Folgenden von ungeimpften Fällen sprechen, beziehen wir uns auf Personen, die sich bereits mit COVID-19 angesteckt haben, als Impfstoffe noch nicht verfügbar waren bzw. die Spender:innen noch keine Impfung erhielten. Fast alle ungeimpften Fälle wurden Ende 2020/Anfang 2021 (zweite/dritte Welle) registriert, während die meisten Durchbruchsinfektionen ab Herbst 2021 (vierte/fünfte Welle) verzeichnet werden. Es ist also möglich, dass die folgenden Ergebnisse teilweise auch auf unterschiedliche Reaktionen des Körpers auf die verschiedenen Varianten von Sars-CoV-2 zurückzuführen sind.

Ruhepulsänderungen fallen bei Geimpften schwächer aus

**Abbildung 1:** Mittlere Änderung des Ruhepuls bei einer COVID-19-Erkrankung von Personen, die ungeimpft (rot), und solchen, die zum Zeitpunkt der Infektion mindestens vollständig geimpft waren (lila). Zum Vergleich zeigen wir die Änderungen von negativ getesteten Spender:innen. Da Testdaten nur mit einer Genauigkeit von einer Woche bekannt sind, gibt das graue Interval den ungefähren Zeitraum an. Die Fehlerbalken geben die Variabilität der Werte ([Standardfehler](https://de.wikipedia.org/wiki/Standardfehler)) um den Mittelwert an.
Abbildung 1: Mittlere Änderung des Ruhepuls bei einer COVID-19-Erkrankung von Personen, die ungeimpft (rot), und solchen, die zum Zeitpunkt der Infektion mindestens vollständig geimpft waren (lila). Zum Vergleich zeigen wir die Änderungen von negativ getesteten Spender:innen. Da Testdaten nur mit einer Genauigkeit von einer Woche bekannt sind, gibt das graue Interval den ungefähren Zeitraum an. Die Fehlerbalken geben die Variabilität der Werte (Standardfehler) um den Mittelwert an.

Beginnen wir mit dem Verlauf des Ruhepuls vor und nach einem positiven COVID-19-Test. Bei ungeimpften Spender:innen (rote Kurve in Abb. 1) beginnt der Ruhepuls bereits kurz vor dem Test anzusteigen, was ein Vorbote der bevorstehenden Erkrankung sein könnte. Die größte Veränderung wird innerhalb der Testwoche selbst beobachtet. Hier beträgt die mittlere Ruhepulsänderung etwa 2 Schläge pro Minute oberhalb des typischen Werts. Die kurze Normalisierung (angezeigt durch eine Veränderung von etwa Null) in der ersten Woche wurde auch in anderen Studien beobachtet und könnte auf eine sogenannte Bradykardie schließen lassen, die in der Vergangenheit als mögliches Symptom von COVID-19 berichtet wurde. Nach dieser kurzen (etwa einwöchigen) Phase steigt der Ruhepuls wieder an und kehrt dann erst über einen längeren Zeitraum von 13 Wochen langsam zum normalen Wert zurück.

Im Gegensatz dazu sind die Ruhepulsänderungen bei geimpften Spender:innern (in Abb 1. lila dargestellt) vergleichsweise geringer. Wir verzeichnen hier nur einen mittleren Anstieg von etwa einem Schlag pro Minute in der Testwoche und eine viel schnellere Rückkehr zu normalen Werten nach maximal 7-8 Wochen. Das deutet darauf hin, dass die Schwere einer Infektion in der akuten Phase abnimmt und auch der Genesungsprozess bei geimpften Spender:innen im Mittel schneller verläuft. Es ist zu beachten, dass wir die Veränderungen bei geimpften Spender:innen momentan nur bis zu 9 Wochen nach einer Infektion darstellen können, da die meisten dieser Fälle erst ab November 2021 gemeldet wurden.

Aktivität von Geimpften nimmt vor allem während der Quarantäne ab

**Abbildung 2:** Mittlere Änderung der Aktivität von ungeimpften (rot) und geimpften (violett) positiv auf COVID-19 getesteten Spender:innen sowie von negativ getesteten Personen (blau) zum Vergleich.
Abbildung 2: Mittlere Änderung der Aktivität von ungeimpften (rot) und geimpften (violett) positiv auf COVID-19 getesteten Spender:innen sowie von negativ getesteten Personen (blau) zum Vergleich.

Die tägliche Aktivität oder Schrittzahl ist eine zweite Kennzahl, die wir in der Datenspende häufig betrachten. Sowohl bei Geimpften als auch bei Ungeimpften nimmt dieser Wert in der Woche nach einem positiven PCR-Test am stärksten ab, was höchstwahrscheinlich darauf zurückzuführen ist, dass die Spender:innen sich in Quarantäne befinden. Wir stellen jedoch zwei subtile, aber wichtige Unterschiede zwischen geimpften und ungeimpften Fällen fest:

(i) Der Aktivitätsrückgang in der eigentlichen Testwoche ist bei Ungeimpften fast doppelt so stark. Das heißt für diese Gruppe tritt die entsprechende Reduktion früher ein als bei geimpften Spender:innen – wahrscheinlich sogar schon in den Tagen vor der Testdurchführung. Es scheint also, dass ein solcher Rückgang bereits auf eine bevorstehende Erkrankung hindeutet und nicht nur eine Reaktion auf Isolationsanordnungen ist.

(ii) Während die Aktivität von Geimpften nach drei bis (höchstens) sechs Wochen zumeist wieder auf typische Werte zurückgeht, finden wir bei Ungeimpften geringe Abweichungen von diesen typischen Werten, die erst nach bis zu 13 Wochen verschwinden. Das deutet darauf hin, dass das Risiko einer andauernden Einschränkung üblicher Aktivitäten über die Isolationszeit hinaus bei Ungeimpften größer ist, obgleich sie auch bei geimpften Personen nicht völlig verschwindet.

Schlafdauer erhöht sich während der Quarantäne

**Abbildung 3:** Mittlere Änderung der täglichen Schlafdauer von ungeimpften (rot) und geimpften (violett) positiv auf COVID-19 getesteten Spender:innen sowie von negativ getesteten Personen (blau) zum Vergleich.
Abbildung 3: Mittlere Änderung der täglichen Schlafdauer von ungeimpften (rot) und geimpften (violett) positiv auf COVID-19 getesteten Spender:innen sowie von negativ getesteten Personen (blau) zum Vergleich.

Wir betrachten nun noch einen dritten Indikator für den Gesundheitszustand einer Person, nämlich die typische Schlafdauer. Bei Ungeimpften sehen wir eine Zunahme der Schlafdauer um etwa 40-50 Minuten pro Tag in der Testwoche und der Woche danach. Dieser Anstieg ist auch bei Geimpften zu beobachten, wobei das Ausmaß dieses Effekts mehr als halbiert ist. Interessanterweise nimmt die Schlafdauer bei Geimpften vor allem in der Woche nach der Durchführung eines COVID-19-Tests zu, was wiederum darauf zurückzuführen sein könnte, dass sich die Personen isolieren und dadurch mehr Zeit zu Hause verbringen. Im Gegensatz dazu nimmt die Schlafdauer ungeimpfter Spender:innen bereits in der Testwoche selbst stark zu, was wiederum auf ein größeres Ruhebedürfnis durch gesundheitliche Probleme in Folge der Infektion hindeuten könnte.

Zusammenfassung

Zusammenfassend stellen wir fest, dass die kurz- und langfristigen Veränderungen der Vitaldaten von geimpften COVID-19-positiven Spender:innen weniger stark ausgeprägt sind. Dies deckt sich mit allgemeinen Beobachtungen, die auf einen milderen Verlauf von Impfdurchbrüchen hinweisen. Wir stellen fest, dass sich die betrachteten Werte schneller normalisieren, was darauf hindeutet, dass Impfungen auch länger andauernde Gesundheitsprobleme wie beispielsweise Long-Covid abmildern könnten.

Wie immer möchten wir euch, unseren Spender:innen, unseren größten Dank dafür aussprechen, dass ihr unsere Analysen möglich macht. Dank eurer aktiven Beteiligung verstehen wir zunehmend mehr über die Auswirkungen von COVID-19 auf unsere Physiologie sowie die möglichen Langzeitfolgen einer Erkrankung. Wir planen derzeit eine neue Umfrage in der App, die sich speziell mit diesem Thema befasst, und laden euch schon jetzt ein, mitzumachen, sobald diese bereit steht.

Marc Wiedermann
Alumnus

Researcher and Data Scientist with strong interests in time series and network analysis, predictive models and low-dimensional dynamical systems for the spread of human behavior.

Dirk Brockmann
Dirk Brockmann
Professor

Head of Research on Complex Systems Group